Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Italien, Deutschland, Frankreich und Großbritannien verfolgt im Forschungsprojekt ­CRIMSON ein ehrgeiziges und gesamtgesellschaftlich überaus bedeutsames Ziel: Dank innovativer Technologien soll die Krebsdiagnostik auf ein neues Level gehoben und Patientinnen und Patienten Hoffnung auf eine deutlich verbesserte Früherkennung gegeben werden. Im Interview erklärt Dr. Tobias Meyer-Zedler, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Bildgebung in der Forschungsabteilung Spektroskopie / Bildgebung am Leibniz-IPHT und Teilprojektleiter in CRIMSON, wie neuartige Forschungsansätze eine vielversprechende Zukunft zur Detektion von Krebs liefern können.

Krebs gilt als eine der am weitesten verbreiteten Krankheiten unserer heutigen Zeit. Vor allem in der Altersgruppe zwischen 40 und 79 Jahren ist Krebs mit über 30 Prozent die häufigste Todesursache.1 Für Therapieerfolg und Heilungschancen äußerst entscheidend ist daher, die Entstehung von Krebs auf zellulärer Ebene zu verstehen und die Krankheit in einem frühen Stadium zu diagnostizieren.
 
Welche Diagnosemethoden zum Aufspüren von Krebszellen ­existieren aktuell?
 
Bisherige diagnostische Verfahren zur Krebserkennung sind in der Regel mit Biopsien verbunden, in denen Patientinnen und Patienten Gewebeproben entnommen werden, die anschließend durch Pathologen histopathologisch beurteilt werden. Diese Untersuchung kann bis zu mehrere Tage dauern bis ein gesicherter diagnostischer Befund vorliegt. Daher wäre es von unschätzbarem Wert, wenn eine zuverlässige Beurteilung von Zellveränderungen schon während einer Operation erfolgen ­könnte oder erst gar keine Biopsien vorgenommen werden müssten und sich das Gewebe nichtinvasiv in-vivo untersuchen ließe.
 
Welchem Forschungsziel stellen sich die ­Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um die heutige Diagnostik zu verbessern?
 
In dem 2020 gestarteten vierjährigen EU-Projekt CRIMSON (Coherent Raman Imaging for the ­Molecular Study of the Origin of Diseases) soll ein neues biophotonisches, bildgebendes Instrument entwickelt werden, das perspektivisch die Krebsdiagnostik einen großen Schritt voranbringen wird. Mit dem zu entwickelnden System kann einerseits die Beurteilung von krankhaft verändertem Gewebe deutlich beschleunigt und eine frühzeitige Diagnostik gestützt werden. Anderseits lassen sich damit Krankheitsursachen auf zellulärer Ebene erforschen, um basierend auf diesen Erkenntnissen neue Ansätze für eine personalisierte Therapie zu generieren.
 
Welche technologischen ­Fortschritte sollen zur Erreichung dieses Ziels beitragen?
 
Geplant ist, eine Mikroskopie-Technologie basierend auf der kohärenten Raman-Mikroskopie, genauer gesagt der molekular sensitiven kohärenten Anti-Stokes-Raman-Streuungs-­Mikroskopie (CARS), zu entwickeln. Die zu untersuchende Probe wird dabei mithilfe zweier Laserpulse bestrahlt, wodurch charakteristische Molekülschwingungen in der Probe kohärent angeregt werden, deren Signale mit dem Mikroskop detektiert werden. Hierfür werden in CRIMSON neue kompakte Laserquellen zur Realisierung innovativer hyperspektraler CARS-Detektionsverfahren in Kombination mit auf künstlicher Intelligenz beruhenden Spektralanalyseroutinen erforscht. Ziel ist es, ein hyperspektrales CARS-Mikroskop für eine schnelle Zell- und Gewebeklassifizierung mit beispielloser biochemischer Sensitivität zu entwickeln.
 
Von welchen Vorteilen werden Patientinnen und Patienten in Zukunft profitieren können?
 
Langfristig soll die neuartige mikroskopische Technologie in der Lage sein, labelfrei molekulare Bilder von subzellulären Kompartimenten in lebenden Zellen oder Organoiden sowie Gewebe mit biomolekularer Empfindlichkeit zu ermöglichen. Wenn sich Zellen zu bösartigem Gewebe weiterentwickeln, ändert sich ihr einzigartiger molekularer Fingerabdruck. Bei einigen Krebsarten kommt es dabei zu einer Zunahme bestimmter Moleküle. Diese Veränderungen lassen sich auch als molekulare Details in den CARS-Spektren nachweisen. Indem ein noch präziserer Einblick in Zellen ermöglicht wird, schaffen wir die technologischen Voraussetzungen, um Tumore sowie ihre Aggressivität noch besser beurteilen zu können.

Dank der hohen Aufnahmegeschwindigkeit, die das Mikroskop bieten wird, werden zudem dynamische Veränderungen von und in Zellen durch Zeitraffer-Aufnahmen sichtbar werden. Solche beobachtbaren Zellentwicklungen können Ärztinnen und Ärzten Hinweise auf eine mögliche Krebserkrankung geben. Eine frühzeitige zielgerichtete medikamentöse Therapie ließe sich unmittelbar anschließen.

Die zu entwickelnde technologische Lösung ist sowohl als Operationsmikroskop als auch als endoskopisches Instrument angedacht. Damit bietet es beispielsweise den Vorteil, bereits während einer endoskopischen Untersuchung auffälliges Gewebe direkt zu erkennen und sofort weitere Schritte einzuleiten. Während einer operativen Tumorentfernung könnten Chirurginnen und Chirurgen noch direkt im Operationssaal binnen weniger Minuten beurteilen, ob das krankhafte Gewebe vollständig entfernt wurde und keine Tumorzellen im Körper verbleiben.

Die Europäische Kommission ­fördert das Projekt mit mehr als fünf ­Millionen Euro.

Weitere Informationen zum CRIMSON-Projekt: www.crimson-project.eu

1 Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis): Weltkrebstag: Zahl der stationären Krebsbehandlungen 2021 auf neuem Tiefstand

Im Bild:
Am Leibniz-IPHT wurde 2022 ein erstes Breitband-CARS-Set-up realisiert, das dabei helfen wird, zelluläre ­Bestandteile zu charakterisieren und Krebs molekular zu entschlüsseln. 
© Sven Döring