Um die medizinische Versorgung der Bevölkerung weiter zu verbessern, soll das Labor der Zukunft in die Jackentasche passen und innerhalb weniger Minuten die Ergebnisse, z. B. einer Blutuntersuchung, liefern. Für eine schnelle Vor-Ort-Analytik und Diagnostik eignen sich besonders neue, lichtbasierte Detektionsverfahren. Die Mikrofluidik bietet vielfältige technologische Lösungen für die Kombination moderner spektroskopischer und optischer Verfahren mit einer kompakten Chip-Plattform. Diese mikrofluidischen Lab-on-a-Chip Systeme (LOC) ergänzen schon heute zeit- und kostenaufwändige Routine-Laborverfahren und sichern die Vor-Ort-Analytik und Diagnostik unabhängig von einer speziellen Laborinfrastruktur.

Der Reinraum des Leibniz-IPHT bietet ideale technologische Voraussetzungen zur Herstellung der mikrofluidischen Bauelemente mit Verfahren der Mikrosystemtechnik. Zur Strukturierung der Chipsubstrate aus Glas, Silizium oder Quarzglas kommen Fotolithographie, nass- und trockenchemische Ätzverfahren sowie Beschichtungsverfahren wie Sputtern zum Einsatz. Die winzigen Kanäle und die Funktionselemente der mikrofluidischen Chips entstehen jedoch erst durch die exakte Verbindung einer mikro- bzw. nanostrukturierten Chipoberseite und -unterseite mit Hilfe des anodischen Bondens. Hierbei bildet sich eine feste chemische Verbindung zwischen beiden Hälften, die für eine hohe Stabilität des fertigen Chips sorgt. Die mikro- und nanotechnologischen Prozesse ermöglichen variable Kanalhöhen in einem Bereich von etwa 0,1 bis 300 Mikrometer in Glas und bis zu 800 Mikrometer in einem Glas/Silizium/Glas Drei-Lagen-Verbundsystem. Mittels mehrstufiger Ätzverfahren lassen sich Kanäle unterschiedlicher Höhe realisieren, um beispielsweise Tröpfchen in einer Öl-Wasser-Mischung zu erzeugen. Die feinen Strukturen von freistehenden Nanoporenarrays für Nanosiebe entstehen mittels Elektronenstrahllithographie.

Für die Bereitstellung als Einweg-Mikrofluidiksysteme aus Polycarbonat werden externe Dienstleister der DVD- Massenfertigung in den Herstellungsprozess eingebunden. Das hierfür vom DVD-Standard abgeleitete Format der „Microfluidic-Laboratory-Disc“ bietet ausreichend Raum für komplexe Screening-Anwendungen, die z. B. bis zu 5.000 einzelne Probentropfen parallel erzeugen, prozessieren und untersuchen. 


Im Bild: 

Microfluidic-Laboratory-Disc mit feinen Kanälen 

Die Geometriemaster
 für diese Disks mit den erforderlichen Mikrostrukturen entstehen im Reinraum des Leibniz-IPHT und dienen
 als Urmatrize für die Herstellung der Disk-Halbscheiben durch einen der weltweit führenden Dienstleister der DVD-Massenfertigung. Das nachfolgende justierte Verbonden von je zwei mikrostrukturierten DVD-Halbscheiben zu den finalen Mikrofluidiksystemen erfolgt wieder im Reinraum des Leibniz-IPHT. Dadurch reduzieren sich die reinen Herstellungskosten für die Einweg-Mikrofluidiksysteme auf weniger als 100 Euro pro Bauelement.

Für die erfolgreiche Umsetzung von Ideen aus Forschung und Industrie bündelt das Leibniz-IPHT Kompetenzen auf den Gebieten der Mikrosystemtechnologie, Mikroströmungsmechanik, Photonik und Automatisierung. Die Forscherinnen und Forscher nutzen einen effizienten Design-Ansatz, um maßgeschneiderte, hochintegrierte Mikrofluidiksysteme für sehr unterschiedliche Anwendungen liefern zu können. Neben standardisierten Chipformaten und Fluidanschlusstechnik kommen flexibel miteinander kombinierbare mikrofluidische Funktionselemente zum Einsatz. Dadurch können komplexe Verfahrensabläufe auf einem einzigen Chip ablaufen und dieser in optische Messsysteme implementiert werden. Andererseits profitiert das Chip-Design von der softwarebasierten Modellierung dieser mikrofluidischen Netzwerke. Mit der in-silico Modellierung gelingt es, das Zusammenspiel der mikrofluidischen Funktionselemente in Einphasenströmungssystemen und tropfenbasierten Systemen zu analysieren und visualisieren, noch bevor der Chip hergestellt ist. So werden mögliche Designfehler im Vorfeld der Fertigung erkannt und die gewünschte Funktionsweise des Chips oft schon im ersten Entwicklungszyklus erreicht.

Was ist Mikrofluidik? 

Kleine Flüssigkeitsmengen auf engstem Raum gehorchen anderen physikalischen Gesetzen als makrofluidische Systeme. Ein großes Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis, Kapillarkräfte und eine turbulenzarme Strömung dominieren das Verhalten der Fluide in Kanälen von wenigen Mikrometern Durchmesser. Diese Effekte werden gezielt genutzt, um z. B. zwei Flüssigkeiten in weniger als einem Tausendstel einer Sekunde vollständig zu mischen. Für andere Anwendungen werden durch die gezielte Auswahl und fluidische Verschaltung von Funktionselementen in den Mikrokanälen Zellen aus einer Zellsuspension vereinzelt, sortiert, gedreht und anschließend mit optisch spektroskopischen Verfahren analysiert – alles mit nur wenigen Tropfen einer Probe in einem postkartengroßen Chip (von 16 x 12.5 mm²).