Europäische Labore wollen Standards für Raman-Spektroskopie schaffen. Dazu hat das ­Leibniz-IPHT den bis dato größten europäischen Laborvergleich ins Leben gerufen

Ist das Gewebe gesund oder krankhaft verändert? Wirkt das Antibiotikum gegen den Keim oder ist er dagegen resistent? Mithilfe der Raman-Spektroskopie lassen sich derartige Fragen schnell und präzise beantworten. Eine Herausforderung für den Einsatz der lichtbasierten Analysemethode im klinischen Alltag besteht jedoch darin, dass die Ergebnisse empfindlich von den jeweiligen Messbedingungen abhängen. Um Lösungen für diese Herausforderung zu schaffen, hat das Leibniz-IPHT den bis dato größten europäischen Laborvergleich ins Leben gerufen.

Mittels der Raman-Spektroskopie lassen sich biologische Proben in Diagnostik, Mikrobiologie, Forensik oder Pharmakologie über den einzigartigen Fingerabdruck der Moleküle präzise charakterisieren. „Allerdings enthalten die Ergebnisse auch noch weitere Fingerabdrücke: jene des Messsystems, zum Beispiel des Raman-Spektrometers“, erläutert Thomas Bocklitz, Leiter der Forschungsabteilung „Photonic Data Science“. So könne dieselbe Probe zu unterschiedlichen Raman-Spektren führen, wenn sie mit verschiedenen Aufbauten, unter unterschiedlichen Bedingungen oder zu unterschiedlichen Zeiten gemessen werde, so Bocklitz, der auch an der Friedrich-Schiller-Universität Jena tätig ist.

Auf Initiative des Leibniz-IPHT haben nun 86 Forschende aus 15 Institutionen in sieben europäischen Ländern die Vergleichbarkeit von Raman-spektroskopischen Geräten mit unterschiedlichen Konfigurationen auf den Prüfstand gestellt. Die Europäische Union förderte das Projekt ­„Raman4Clinics“ als COST-Aktion (European Cooperation in Science and Technology). Mit dem bis dato größten Laborvergleich von Raman-Spektroskopie-Experimenten sei die Studie ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Raman-Spektroskopie in die klinische Anwendung zu bringen, so Jürgen Popp, Sprecher des „Raman4Clinics“-Konsortiums.

Open Source entscheidend für gemeinsame Standards

Fazit des Teams ist eine klare Empfehlung sowohl an die Hersteller von Spektrometern wie an die wissenschaftliche Community der Raman-Spektroskopie. „Hersteller und Wissenschaftler sollten die Kalibrierung des Spektrometers standardmäßig durchführen und die entsprechenden Software-Module Open Source zur Verfügung stellen“, so Thomas Bocklitz. Dies sei ein praktikabler und attraktiver erster Schritt, um den Einfluss messtechnisch bedingter Effekte auf die Raman-Signale zu korrigieren.

Entscheidend sei auch, dass sowohl Hersteller wie Forschende ihre Daten offen zugänglich machten. „Wir ermutigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aktiv zum Aufbau größerer Datenbanken beizutragen“, appelliert Thomas Bocklitz. „Dies wäre eine enorm wertvolle Ressource, um maschinelle Lern-Modelle und chemometrische Verfahren zu erstellen, die tolerant gegenüber unerwünschten Abweichungen sind.“

Die Ergebnisse des Forschungs­teams, das nach der Untersuchung einfacher Substanzen wie Polystyrene und Paracetamol nun komplexe biologische Proben in den Blick nimmt, fließen in die nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) ein. Diese von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte vernetzte Struktur soll die Datenbestände von Wissenschaft und Forschung systematisch erschließen, nachhaltig sichern und zugänglich machen.

„Unsere Daten tragen dazu bei, zu einheitlichen Standards für die Raman-Spektroskopie zu kommen“, erläutert Bocklitz, der offizieller Mitwirkender („Participant“) im Chemie-Konsortium der NFDI (NFDI4Chem) ist. Ziel ist es, international verbindliche Protokolle für die Raman-Spektroskopie auf den Weg zu bringen. „Wir hoffen, dass wir mit unserer Studie die wissenschaftliche Community der Raman-Spektroskopie dazu bewegen, sich für solche gemeinsamen Standards einzusetzen“, betont Thomas Bocklitz. „Nur so können wir das ganze Potential dieser leistungsstarken nicht-invasiven Methode für die Anwendung in der Klinik ausschöpfen.“

Neues Standardwerkzeug für die Mikrobiologie

Zu erfahren, was passiert, wenn Mikroorganismen untereinander oder mit höher entwickelten Lebewesen interagieren, kann für Menschen sehr wertvoll sein. Bakterien beispielsweise produzieren bei solchen Prozessen häufig Substanzen, die die Grundlage für neue Arzneiwirkstoffe oder Antibiotika liefern könnten. Um solche Prozesse zu beobachten, nutzen Forschende moderne Bildgebungsverfahren wie die Raman-Spektroskopie.

Um Mikrobiologinnen und Mikrobiologen an der Friedrich-Schiller-Univewrsität Jena zu ermöglichen, diese leistungsstarke Technologie für die Untersuchung biologischer Proben und Biomoleküle zu nutzen, stellt das Forschungsteam der Arbeitsgruppe von Jürgen Popp ihnen nun ein Raman-Mikroskop zur Verfügung und unterstützt sie bei der Anwendung. Das Land Thüringen fördert dies im Rahmen des Projektes „Untersuchung mikrobieller Interaktionen mithilfe von Raman-Spektroskopie“ – kurz: „MICROVERSE-Raman“ – mit 400.000 Euro. Die neue Raman-Technologie wird ein wesentlicher Baustein im „Imaging Center“ des Exzellenzclusters „Balance of the Microverse“ sein, das verschiedene moderne Bildgebungsverfahren bereithält.