Die Infrarot­Spektroskopie ermöglicht vielfältige Anwen­dungen in der medizinischen Diagnostik und Analytik. Doch das Verfahren wird derzeit mehrheitlich als Routine­ Messverfahren betrieben und gelehrt – die methodische Weiterentwicklung ist ins Stocken geraten. Unter Betei­ligung von Wissenschaftlerin­ nen und Wissenschaftlern des Leibniz­IPHT haben Forschen­de und Industriepartner aus dem deutschsprachigen Raum die Initiative „IR4future“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, die Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der IR­Spektroskopie zu intensivieren und Anwendungs­potenziale zu erschließen.

Den Blutzucker messen, ohne zu stechen, anhand der Atemluft Lungen- und Nierenkrankheiten oder Diabetes schon im Frühstadium erkennen oder die chemische Zusammensetzung von Gewebe bestimmen, um krankhafte Veränderungen aufzuspüren: Die IR-Spektroskopie liefert eine Fülle an Informationen, insbesondere für die gleichzeitige Bestimmung chemischer und physikalischer Parameter und ermöglicht Analysen ohne die Verwendung von externen Labeln. Dies macht sie zu einer Schlüsseltechnologie auf dem Gebiet der Gesundheitstechnologien sowie in den Bereichen Landwirtschaft und Ernährung. Prof. Christian Huck von der Leopold- Franzens Universität aus Innsbruck hat gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Jürgen Popp vom Leibniz-IPHT die interdisziplinäre Interessensgemeinschaft „IR4future“ initiiert. Zusammen mit elf weiteren Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft haben sie ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie den aktuellen Stellenwert der IR-Spektroskopie kritisch analysieren und aktuelle Trends aufzeichnen. Dr. Christoph Krafft, Leiter der Arbeitsgruppe Raman- und Infrarot-Histopathologie aus der Abteilung Spektroskopie/Bildgebung am Leibniz-IPHT ist einer der Autoren des Positionspapiers. Er warnt: „Das Potential der IR-Spektroskopie droht, ungenutzt zu versanden. Ich sehe die Gefahr, dass Forschungseinrichtungen und Gerätehersteller im deutschsprachigen Raum international den Anschluss verlieren.“ Mit seiner Meinung ist er nicht allein: Kolleginnen und Kollegen aus dem Forschungsverbund „Leibniz Gesundheitstechnologien“, der Freien Universität Berlin und der Universität Innsbruck sowie von Spektrometer- und Optoelektronik- Herstellern aus dem deutschsprachigen Raum haben sich dem Appell angeschlossen. Gemeinsam fordern sie ein stärkeres Engagement bei der Erforschung und Entwicklung neuer Strahlungsquellen, Sensortechniken und Detektoren sowie der KI-gestützten Auswertung, insbesondere für biomedizinische Fragestellungen. 

Appell an die Politik:

In die Entwicklung neuer Methoden investieren Man wolle öffentliche Mittelgeber ermuntern, wieder verstärkt Projekte zur Methodenentwicklung zu fördern. „Es ist dringend erforderlich, das vorhandene Potenzial der Methodenforschung nachhaltig zu sichern und auszubauen“, appellieren die Expertinnen und Experten in einem gemeinsam veröffentlichten Positionspapier. „Um neue Ansätze in Produkte und Dienstleistungen zum Wohl der Gesellschaft überführen zu können, besteht ein wesentlicher Be- darf an geeigneter Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur.“ In ihrem im April 2021 veröffentlichten Statement skizzieren die Autorinnen und Autoren konkrete Lösungsvorschläge, um einen Innovationsschub zuermöglichen. In einem IR-Spektroskopie-Technologie-Hub sollten vorhandene Kompetenzen gebündelt und zugänglich gemacht werden. Es sei notwendig, IR- basierte Methoden mit „Enabling Technologies“ — etwa Mikro- und Nanotechnologien, Mikrofluidik und Fasertechnologie — zu kombinieren. Deep-Learning-Ansätze für die Auswertung von IR-Spektren müssten neu bzw. weiterentwickelt werden. Um die Potentiale der IR-Spektroskopie insgesamt besser und effizienter zu erschließen, sei es unabdingbar, die Rahmenbedingungen zu verbessern, insbesondere in der kontinuierlichen Qualifizierung von wissenschaftlichem und technischem Personal an Universitäten und Forschungseinrichtungen. „Dies ist entscheidend für Fortschritte in der Forschung und für deren wirtschaftliche Anschlussfähigkeit“, betonen die Forschenden.