Was sich zwischen Atomen und Molekülen abspielt, wenn sie miteinander reagieren, lässt sich bisher nicht direkt beobachten. Ein Team um Jürgen Popp und Jer-Shing Huang hat eine Strategie entwickelt, um die schwachen Signale ihrer Wechselwirkung mit Licht zu verstärken – ein entscheidender Schritt, um künftig mitten in eine chemische Reaktion hinein sehen zu können

Wir fördern Wissen „zu Tage“. Wenn wir eine Erkenntnis gewinnen, „geht uns ein Licht“ auf. Metaphern über die erkenntnisstiftende Wirkung von Licht gibt es viele. Und das nicht ohne Grund: „Wenn wir etwas über unsere Umwelt lernen wollen, über Materie und Moleküle, die uns umgeben und die grundlegenden Prozesse, die darin ablaufen, brauchen wir Licht“, sagt Jürgen Popp. „Angefangen von einfachsten Mikroskopen bis zu modernsten Bildgebungsverfahren, die auf der Wechselwirkung von Laserlicht mit Materie beruhen, ist Licht der Schlüssel zu dem, was wir sehen.“ Popp und seine Teams am Leibniz-IPHT und am Institut für Physikalische Chemie der Universität Jena forschen an spektroskopischen Methoden, die es ermöglichen, mitten in eine chemische Reaktion hinein sehen zu können.

Dafür optimieren sie die Raman-Spektroskopie – ein spektroskopisch-analytisches Verfahren, das bereits vielfältig Anwendung findet, etwa in der Analytik von Trinkwasser, Nahrungsmitteln oder der klinischen Diagnostik zum Nachweis von Krankheitserregern. Mittels Raman-Spektroskopie lässt sich berührungslos jedes Material und jedes Molekül eindeutig identifizieren. „Das Spektrum einer Probe gleicht einem chemischen Fingerabdruck“, veranschaulicht Michael Schmitt aus Popps Team. Allerdings: Der dem Raman-Signal zugrundeliegende Effekt der inelastischen Lichtstreuung ist ein schwacher Prozess; wollen die Forschenden Einzelmoleküle betrachten, müssen sie die Signale verstärken, um sie überhaupt messen zu können.

Genau daran arbeiten Jürgen Popp und Michael Schmitt gemeinsam mit Jer-Shing Huang, Leiter der Forschungsabteilung Nanooptik am Leibniz-IPHT, im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Nonlinear optics down to atomic scales“ an der Universität Jena. Ende 2020 haben sie einen ersten entscheidenden Schritt gemacht: Mit Partnern aus Taiwan kombinierten die Jenaer Forscher zwei Methoden, um das Raman-Signal effektiv zu verstärken.

Schwaches ­Raman-Signal wird plasmonisch verstärkt

Zum einen nutzen sie dafür plasmonische Nanostrukturen. Mit solchen optischen Antennen lassen sich selbst nanometerkleine Bereiche ausleuchten und so die Auflösung bildgebender Verfahren erhöhen. Hier nutzen die Forschenden plasmonische Strukturen jedoch, um das schwache Raman-Signal selbst zu verstärken: In den Nanostrukturen werden die Elektronen mit einem Laser zu sogenannten Oberflächenplasmonen angeregt. Dadurch entsteht ein starkes elektrisches Feld, mit welchem Moleküle absorbiert werden und an den Na­nostrukturoberflächen wechselwirken können. Durch dieses „Surface-enhanced Raman scattering“ (SERS) wird die Wechselwirkung zwischen Raman-Anregungslicht und den zu untersuchenden Molekülen verstärkt und damit auch die Intensität der Raman-Streuung.

Nanostrukturen aus Gold

Für die Experimente nutzt das Forschungsteam Nanostrukturen aus Gold. Diese werden in spiegelglatte, nur Hunderte von Mikrometer breite und etwa 300 Nanometer dünne Einzelkristalle, sogenannte Goldflakes, gefräst. „Wir verwenden unterschiedliche Größen und Formen der Nanostrukturen und wollen herausfinden, wie sich das Design auf den plasmonischen Effekt auswirkt“, erläutert Jer-Shing Huang. Dabei gehen die Forschenden höchst planvoll vor: Von theoretisch arbeitenden Gruppen des SFB um Stefanie Gräfe und Ulf ­Peschel von der Universität Jena lassen sie zunächst die Wechselwirkung der Strukturen mit Licht am Computer modellieren, um daraus für den jeweils gewünschten Effekt die optimalen Designparameter abzuleiten.

Neben dem SERS-Verfahren wenden die Forschenden eine weitere Möglichkeit an, das Raman-Signal zu verstärken: Durch nichtlineare Wechselwirkungen zwischen Licht und Material wird das über intensive Kurzpulslaser angeregte Raman-gestreute Licht kohärent gebündelt. Das „Coherent anti-Stokes Raman Scattering“ (CARS) führt dadurch ebenfalls zu verstärkten Raman-Signalen.

Mit diesem Know-how, so das Fazit der Forschenden, lasse sich die Nachweisgrenze der Raman-Spektroskopie wesentlich verbessern. „Zu den bestehenden Vorteilen des Verfahrens – etwa dass man die Probemoleküle direkt ohne Farbstoffe verwenden kann – kommt nun eine hohe Sensitivität hinzu“, macht Jürgen Popp deutlich. Das Ziel, ergänzt Michael Schmitt, sei es, die Methodik soweit zu verfeinern, dass sich damit chemische Reaktionen an Einzelmolekülen direkt beobachten lassen, „der Traum eines jeden Chemikers“.

www.noa.uni-jena.de

Plasmonische ­Nanostrukturen

Dabei handelt es sich um winzige optische Antennen. Wie bei Radio- oder Fernsehantennen, lassen sich mit optischen Antennen elektromagnetische Wellen an einem Ort konzentrieren und die Welle in einen elektrischen Strom umwandeln oder umgekehrt ein elektrisches Signal in Form einer Welle abstrahlen. Die Länge der Antenne ist dabei an die Wellenlänge der elektromagnetischen Strahlung angepasst. Anders als Radiowellen mit einer Wellenlänge von mehreren Metern weist sichtbares Licht Wellenlängen von nur ca. 380 bis 780 nm auf. Optische Antennen müssen also extrem klein sein. Erst die Entwicklung der Nanotechnologie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ermöglichte es, so kleine Strukturen herzustellen.

Werden die Nanostrukturen beleuchtet, interagieren die elektromagnetische Lichtwelle und die beweglichen Leitungselektronen im Metall. Die Elektronen werden in kollektive Schwingungen versetzt, die als Oberflächenplasmonpolaritonen, kurz Plasmonen, bezeichnet werden. Damit lassen sich sehr viel kleinere Strukturen ausleuchten und detektieren als mit einem gewöhnlichen Lichtmikroskop.