Um lebende Zellen bei der Arbeit zu beobachten, müssen Forschende ein physikalisches Gesetz aushebeln. Eine der schnellsten Techniken, um die Auflösungsgrenze der klassischen Lichtmikroskopie zu überwinden, ist die hochauflösende strukturierte Beleuchtungsmikroskopie. Sie macht Details in der Zelle sichtbar, die etwa hundert Nanometer winzig sind, hundert Millionstel eines Millimeters. Die aufgenommenen Daten wieder in Bilder zu übersetzen, kostete bislang allerdings viel Zeit. Ein Forscherteam der Universität Bielefeld, des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat nun eine Technik entwickelt, mit der sich die Bilddaten direkt rekonstruieren lassen. Damit können Forschende biologischen Vorgängen in der Zelle quasi live zuschauen. „Das ermöglicht völlig neue bildgebende Arbeitsabläufe, die kein anderes hochauflösendes Mikroskopieverfahren derzeit erlaubt“, so Prof. Rainer Heintzmann vom Leibniz-IPHT. Die Ergebnisse veröffentlichte das Forscherteam am 20. September 2019 im renommierten Fachmagazin „Nature Communications“.

Computerspielern verhilft die Grafikkarte sonst zu einem tollen Spiele-Erlebnis. Die Forschenden nutzen sie, um kleinste Zellbestandteile in Aktion zu beobachten — in Echtzeit und mit einer sehr hohen Bildfrequenz. „Die Bilddaten lassen sich etwa zwanzigmal schneller rekonstruieren als dies auf einem PC dauern würde“, erläutert Rainer Heintzmann, der bereits 1998 die Grundlagen zum Verfahren der strukturierten Beleuchtung in der Hochauflösungsmikroskopie legte. Gemeinsam mit ihm baute das Bielefelder Forscherteam um Prof. Thomas Huser die Technik der superauflösenden strukturierten Beleuchtungsmikroskopie (Super-Resolved Structured Illumination Microscopy, SR-SIM) nun weiter aus.

Bei dem fluoreszenzmikroskopischen Verfahren SR-SIM werden Objekte über ein spezielles Muster mit Laserlicht bestrahlt. Es regt besondere, fluoreszierende Moleküle in der Probe an, sodass sie Licht in einer anderen Wellenlänge wieder abgeben. Die mikroskopische Aufnahme zeigt dann dieses abgestrahlte Licht. Es wird zunächst in mehreren Einzelbildern aufgenommen und dann als hochaufgelöstes Bild auf einem Computer rekonstruiert. „Vor allem der zweite Schritt hat bisher sehr viel Zeit gekostet“, sagt Andreas Markwirth von der Universität Bielefeld, der Erstautor der Studie. Indem sein Forscherteam für das neue Mikroskop Parallelrechner-Verfahren auf modernen Grafikkarten einsetzt, konnte es die Bildrekonstruktion nun deutlich beschleunigen. Eine minimale Verzögerung von 250 Millisekunden sei für das menschliche Auge fast nicht wahrnehmbar. Auch die Rohdaten lassen sich mit dem neu erforschten Mikroskop schneller erzeugen.  

Strukturen, die für herkömmliche Mikroskope unsichtbar sind 

„Das macht es möglich, Proben schnell zu vermessen und bereits während eines Experiments Versuchsbedingungen sofort anzupassen, anstatt diese erst im Nachhinein auswerten zu können“, beschreibt Rainer Heintzmann den praktischen Nutzen der neuen Technik.

Für ihre Studie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Verfahren an biologischen Zellen getestet und die Bewegungen von Mitochondrien aufgezeichnet, den etwa einen Mikrometer kleinen Energiezentren der Zellen. „Wir konnten ungefähr 60 Einzelbilder pro Sekunde erzeugen – das ist eine höhere Bildfrequenz als bei Kinofilmen. Zwischen Messung und Bild liegen weniger als 250 Millisekunden, daher erlaubt die Technik Echtzeitaufnahmen“, so Andreas Markwirth.

Bisher werden superauflösende oft mit herkömmlichen Verfahren kombiniert: Ein herkömmliches schnelles Mikroskop wird genutzt, um Strukturen zunächst zu finden. Danach können diese Strukturen über ein superauflösendes Mikroskop im Detail untersucht werden. „Manche Strukturen sind aber so klein, dass sie mit herkömmlichen Mikroskopen gar nicht erst gefunden werden können, zum Beispiel spezielle Poren in Leberzellen. Unser Verfahren ist sowohl hochauflösend als auch schnell – das ermöglicht Biologinnen und Biologen, solche Strukturen zu erforschen“, so Thomas Huser. Eine andere Anwendung für das neue Mikroskop ist die Untersuchung von Virenpartikeln auf ihrem Weg durch die Zelle. „So können wir nachvollziehen, was bei Infektionsprozessen genau passiert“, sagt Huser.

Superauflösende Mikroskope gibt es erst seit etwa 20 Jahren. Ernst Abbe hatte 1873 herausgefunden, dass die Auflösung eines optischen Systems für sichtbares Licht auf etwa 250 Nanometer begrenzt ist. In den vergangenen Jahren wurden jedoch gleich mehrere optische Verfahren entwickelt, um die Abbesche Auflösungsgrenze zu unterschreiten. Für die Entwicklung einer Superauflösung im Bereich von etwa 20 bis 30 Nanometer erhielten die US-Amerikaner William E. Moerner und Eric Betzig sowie der Deutsche Stefan Hell 2014 den Nobelpreis für Chemie.

 

Original-Publikation:

Andreas Markwirth, Mario Lachetta, Viola Mönkemöller, Rainer Heintzmann, Wolfgang Hübner, Thomas Huser, Marcel Müller: Video-rate multi-color structured illumination microscopy with simultaneous real-time reconstruction. Nature Communications, DOI 10.1038/s41467-019-12165-x, erschienen am 20. September 2019 September 2019.

Diese Aufnahme des neuen Mikroskops zeigt eine lebende Knochenkrebszelle mit Zellkern (blau), Mitochondrien (grün) und Zytoskelett (magenta). Foto: Universität Bielefeld/ W. Hübner

Diese Aufnahme des neuen Mikroskops zeigt eine lebende Knochenkrebszelle mit Zellkern (blau), Mitochondrien (grün) und Zytoskelett (magenta). Foto: Universität Bielefeld/ W. Hübner

Aufnahmen des neuen Mikroskops: Ganz links das auf dem Computer dargestellte Bild, rechts die Mikroskopbilder. Man sieht dort eine Knochenkrebszelle mit Mitochondrien (blau) und endoplasmatischem Retikulum (rosa). Die unterschiedlichen Reihen zeigen Aufnahmen zu unterschiedlichen Zeiten. Foto: Universität Bielefeld/W. Hübner

Aufnahmen des neuen Mikroskops: Ganz links das auf dem Computer dargestellte Bild, rechts die Mikroskopbilder. Man sieht dort eine Knochenkrebszelle mit Mitochondrien (blau) und endoplasmatischem Retikulum (rosa). Die unterschiedlichen Reihen zeigen Aufnahmen zu unterschiedlichen Zeiten. Foto: Universität Bielefeld/W. Hübner