Nach monatelanger Analyse liegen die Ergebnisse von den Ausgrabungen 2016 am Karlsgraben vor. Wie die Datierungen belegen, begann der Bau des Kanals Karls des Großen früher als bislang bekannt. Ein interdisziplinäres Team, darunter Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien Jena, arbeitet seit 2012 an dem Forschungsprojekt.

Der Karlsgraben ist das bedeutendste Infrastrukturprojekt des frühen Mittelalters in Zentraleuropa. Der von Karl dem Großen zwischen den Orten Treuchtlingen und Weißenburg (Bayern) errichtete Kanal sollte einen durchgehenden Schifffahrtsweg zwischen Rhein und Donau schaffen. Ein interdisziplinäres Forscherteam hat durch Ausgrabungen und Holzaltersbestimmungen nun den bislang ältesten Teil des Bauwerkes nachgewiesen. Der Baubeginn des Kanals konnte dadurch um mehrere Monate zurückdatiert werden. Die ältesten bislang bekannten Teile des Bauwerkes wurden im Herbst 793 errichtet. Schriftquellen berichten, dass Karl der Große sich in dieser Zeit selbst an der Baustelle aufhielt.

Neue Datierungen von Bauhölzern einer 2016 durchgeführten Ausgrabung belegen nun erstmals, dass die Bauarbeiten bereits im Winterhalbjahr 792/793 begonnen wurden. Karl der Große kam also nicht zum ersten Spatenstich, sondern besuchte eine bereits weit fortgeschrittene Baustelle. Die Neudatierung beantwortet die seit über 100 Jahren kontrovers diskutierte Frage nach dem Baubeginn und wirft ein völlig neues Licht auf den historischen Kontext des Bauvorhabens.

Die Forschungen sind Teil des Schwerpunktprogrammes „Häfen von der römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (http://www.spp-haefen.de/). Seit 2012 arbeiten Wissenschaftler der Universitäten Jena, Leipzig und Kiel, des Leibniz-Institutes für Photonische Technologien Jena sowie des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD) gemeinsam an diesem Projekt. Im Rahmen eines Pressetermins in Weißenburg wurden am 3. Juli 2017 die neuen Ergebnisse präsentiert.

Dr. Lukas Werther (Archäologe, Universität Jena): „Die neuen Datierungen sind nicht nur in ihrer Präzision außergewöhnlich! Dadurch erschließen sich völlig neue Aspekte der historischen Einordnung und technischen Umsetzung des Bauvorhabens.“

Prof. Dr. Christoph Zielhofer (Geoarchäologe, Universität Leipzig): „Überraschend ist, dass die ältesten Hölzer am nördlichen Ende des bekannten Trassenverlaufs des Kanals liegen. Unter Umständen ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Bauarbeiten hier begonnen wurden. Eine Überraschung, denn dieser Standort ist an der Geländeoberkante kaum erkennbar und völlig unscheinbar.“

Dr. Sven Linzen (Physiker, Leibniz-IPHT Jena): „Der Karlsgraben ist wie ein großes Buch mit stark verblichenen Seiten. Mit modernster Technik können wir nun gemeinsam Kapitel für Kapitel entschlüsseln. Der spektakulären Bergung und Datierung der Eichenpfähle des Kanalufers so weit im Norden gingen das Sichtbarmachen des Kanalverlaufs und die Berechnung des Kanalquerschnitts mit Hilfe der SQUID-Magnetik voraus. Was mögen die nächsten Kapitel an Überraschungen bereithalten?“

Hintergrundinformationen

Der Karlsgraben ist das bedeutendste und ambitionierteste Infrastrukturprojekt des frühen Mittelalters in Zentraleuropa. Bei den heutigen Orten Treuchtlingen und Weißenburg (Bayern) wollte Karl der Große im späten 8. Jahrhundert mit Hilfe eines Kanals einen durchgehenden Schifffahrtsweg zwischen Rhein und Donau schaffen.

Die genaue Datierung dieses Bauwerks war lange umstritten. Die sogenannten Reichsannalen – ein Jahrbuch wichtiger Ereignisse im Karolingerreich – berichten, dass Karl der Große im Herbst 793 die Baustelle des Karlsgrabens besucht hat. Andere zeitgenössische Quellen wie die sogenannten Alemannischen Annalen schildern, dass der Bau bereits 792 durch Karl den Großen angeordnet wurde. Daraus erwuchs eine lange Forschungsdiskussion, wann und unter welchen politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen der Baubeginn erfolgte und wie lange der Bau gedauert hat.

Bereits 2013 gelang es durch Ausgrabungen und Holzaltersbestimmungen, einen Bauabschnitt im Mittelteil des Kanals in den Spätsommer/Herbst 793 zu datieren. Dort wurde gearbeitet, als Karl der Große wie in den Schriftquellen geschildert die Baustelle besuchte. Im Sommer 2016 wurden nach vielfältigen Voruntersuchungen der beteiligten Fachbereiche im nördlichsten bekannten Teil des Kanals neue Ausgrabungen durchgeführt (IPHT-Pressemitteilung vom September 2016 und Meldung des BLfD). Dabei gelang es zahlreiche hervorragend erhaltene Bauhölzer der Kanalkonstruktion zu bergen.

Nun liegen nach monatelangen Analysen neue und spektakuläre Ergebnisse zur Datierung dieses Bauabschnittes vor. Insgesamt konnten mehr als zwei Dutzend Hölzer anhand ihrer Jahrringfolgen jahrgenau oder sogar jahreszeitengenau datiert werden. Die jüngsten Hölzer des 2016 untersuchten Bauabschnittes datieren in den Frühsommer (wohl Mai) 793 und damit mehrere Monate früher als die 2013 untersuchten Hölzer. Die im Frühsommer 793 gefällten Hölzer wurden frisch und ohne längere Lagerung verbaut. Die Aushubarbeiten in diesem Bauabschnitt müssen also im Mai 793 abgeschlossen gewesen sein. Etwa ein Drittel der 2016 geborgenen Hölzer datieren jedoch früher. Sie bergen die eigentliche Sensation der Altersbestimmungen, da sie bereits im Winterhalbjahr 792/793 gefällt wurden, bevor im April/Mai 793 die Vegetationsperiode und neue Jahrringbildung eingesetzt hat.

Dadurch ist belegt, dass die Bauarbeiten am Karlsgraben mehrere Monate früher begonnen haben als bislang bekannt. Die Schilderung in den Schriftquellen, dass der Befehl zum Bau des Kanals bereits 792 erfolgt ist, gewinnt dadurch deutlich an Wahrscheinlichkeit. Erstmals können nun die historisch-politischen Rahmenbedingungen der Entscheidung zum Bau des Kanals genauer gefasst werden. Durch die neuen Datierungen wird außerdem deutlich, dass Karl der Große im Spätsommer/Herbst 793 eine bereits mehrere Monate zuvor begonnene Baustelle besucht hat und keineswegs zum „ersten Spatenstich“ angereist ist.

In den nächsten Monaten werden die neuen Datierungen detailliert ausgewertet und mit zahlreichen weiteren Ergebnissen der interdisziplinären Forschergruppe zusammengeführt. Durch die präzisen und unterschiedlichen Datierungen erwarten die Forscher erstmals Hinweise zur Baurichtung einzelner Kanalabschnitte und zu Organisationsdetails der Großbaustelle. Auch zur Frage der Fertigstellung oder Nichtfertigstellung einzelner Bauabschnitte sind neue Ergebnisse zu erwarten.

Die Forschungen werden durch die Städte Treuchtlingen und Weißenburg sowie zahlreiche Vereine, Ehrenamtliche und Firmen aus der Region maßgeblich unterstützt.

Ansprechpartner

Ansprechpartner für archäologische Fragen, das Gesamtprojekt und Bildmaterial sind Dr. Lukas Werther und Prof. Dr. Peter Ettel, Universität Jena (0179-7596569, lukas.werther@uni-jena.de) sowie Dr. Stephanie Berg-Hobohm, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (089/2114-392, Stefanie.Berg-Hobohm@blfd.bayern.de).

Ansprechpartner für geophysikalische Fragen ist Dr. Sven Linzen, Leibniz-Institut für Photonische Technologien (03641-206122, sven.linzen@leibniz-ipht.de). Ansprechpartner für geographisch-geoarchäologische Fragen ist Prof. Dr. Christoph Zielhofer, Universität Leipzig (0341-9732965, zielhofer@uni-leipzig.de).

Weitere Ansprechpartner:

http://www.spp-haefen.de/de/die-projekte/fossa-carolina/team/ sowie http://www.spp-haefen.de/de/die-projekte/geophysikalisches-zentralprojekt/team/

Ansicht mehrerer Eichenpfähle der Uferbefestigung des Karlsgraben während der Ausgrabung 2016, Fälldatum der Bäume Frühsommer (Mai) 793 (Foto: Uni Jena, L. Werther)

Ansicht mehrerer Eichenpfähle der Uferbefestigung des Karlsgraben während der Ausgrabung 2016, Fälldatum der Bäume Frühsommer (Mai) 793 (Foto: Uni Jena, L. Werther)

Lage des Karlsgrabens in Mitteleuropa mit dem Schifffahrtsweg Rhein-Donau (Grafik: Uni Jena, L. Werther)

Lage des Karlsgrabens in Mitteleuropa mit dem Schifffahrtsweg Rhein-Donau (Grafik: Uni Jena, L. Werther)