Mit minimal-invasiven Endoskopen aus dem Leibniz-IPHT soll es in Zukunft gelingen, in tiefere Regionen des menschlichen Gehirns zu sehen.

Eine innovative Technologie, ein hochmotiviertes Team und ein Einsatzfeld, das neue Lösungen braucht: Haarfeine Endoskope aus dem Leibniz-IPHT sollen in Zukunft die Hirnforschung voranbringen. Daran arbeiten Dr. Sergey Turtaev, Dr. Hana Cižmárova, Dr. Jiri Hofbrucker und Patrick Westermann unter der Mentorschaft von Prof. Dr. Tomáš Cižmár. Das interdisziplinäre Team bereitet sein Spin-Off DeepEn aus der Forschungsabteilung Faser- forschung und -technologie vor. Gefördert wird das Projekt mit Mitteln aus dem BMWK-Förderprogramm EXIST-Forschungstransfer.

Das Gehirn als komplexestes Organ des menschlichen Körpers ist nach wie vor noch lange nicht in seiner Gänze erforscht. Konventionelle Methoden bei der In-vivo-Hirn-Bildgebung verursachen Gewebeschäden, die die Untersuchung innerer Hirnregionen stark einschränken.

Das DeepEn-Team will Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftlern haarfeine holografische Endoskope zur Verfügung stellen, die Einblicke in bisher nicht zugängliche Bereiche des Gehirns ermöglichen. Damit sollen die Ursachen von neurodegenerativen Krankheiten, wie Parkinson, Alzheimer oder auch Schlaganfällen, noch besser untersucht werden können.

Gut aufgestellt für den Transfer


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Das DeepEn-Team hat 26 Monate, um ihren Versuchsaufbau in eine marktreife Lösung umzusetzen

„Das Timing ist genau richtig: Die Technologie ist reif für den Transfer und es gibt aktuell weltweit den Trend, Krankheiten minimalinvasiv mit Licht zu diagnostizieren und zu therapieren“, sagt Tomáš Cižmár, Leiter der Abteilung Faserforschung und -technologie und der Arbeitsgruppe Holographische Endoskopie. Das Ziel von DeepEn ist es, den Versuchsaufbau zu stabilisieren und zu miniaturisieren, so dass am Ende eine einfach zu bedienende Brain-Imaging Arbeitsstation für die Neurowissenschaft auf dem Tisch steht – der NeuroDeep. „Mich treibt an, in der Forschung über den Proof of Concept hinaus zu gehen und wissenschaftliche Kenntnisse in die Anwendung umzusetzen“, verrät Sergey Turtaev, Leiter und Technologie-Experte des Start-up-Projekts.

Der technologische Ansatz von DeepEn basiert auf einer multimodalen Faser – dem schmalsten bekannten Kanal, der Bildinformationen übertragen kann. Durch eine Faser kann normalerweise kein Bild von einer Seite zur anderen übertragen werden, wie bei herkömmlichen Endoskopen. Wenn sich Licht durch eine optische Faser bewegt, kommt es auf der anderen Seite nicht in der gleichen Form wieder heraus, sondern wird völlig verzerrt. Das Team der Arbeitsgruppe Holographische Endoskopie hat eine Methode erforscht, wie die Bildübertragung trotzdem gelingt: „Mit modernen holografischen Modulatoren und intelligenten Algorithmen schaffen wir es, diese haarfeine Glasstruktur in ein hoch- auflösendes Bildgebungsinstrument zu verwandeln“, erklärt Sergey Turtaev.


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Mithilfe dieses Versuchsaufbaus soll aus einer haarfeinen optischen Faser ein hochauflösendes Bildgebungsinstrument werden

„Der entscheidende Vorteil ist, dass die Stirnfläche einer solchen Faser um mehr als eine Größenordnung kleiner ist als die von herkömmlichen Endoskopen. Unser Faser-Endoskop hat die subzelluläre Auflösung moderner Multiphotonen-Mikroskope und kann tief in das Hirngewebe eindringen ohne große Schäden zu verursachen.“

Für Hana Cižmárova steht die Nutzerfreundlichkeit des NeuroDeep im Zentrum. Sie ist Ärztin und hat durch ihre praktische Erfahrung in der Geriatrie erfahren, wie Symptome neurodegenerativer Krankheiten aussehen können. „Nun arbeite ich am anderen Ende und kann dazu beitragen, diese Krankheiten besser erforschen zu können“, sagt sie. Dafür arbeitet sie eng zusammen mit den Forschungspartnern am Institute of Scientific Instruments in Brünn, Tschechien. Ihre wichtigste Aufgabe ist es derzeit, Bedürfnisse und Feedback von potentiellen Anwenderinnen und Anwendern des Systems zu sammeln. In Zukunft wird sie sich mit dem Protokoll, der Gestaltung der Nutzeroberfläche und dem Schulungsplan für die Einführung des NeuroDeep befassen.

Marktrecherche, Wettbewerbsanalyse, Schätzung des Marktpotentials: Patrick Westermann hat federführend den Business Plan für die Gründung des Start-ups erstellt. Er hat seinen Master im Management in Belgien und Spanien im Sommer 2021 abgeschlossen und hat nun die betriebswirtschaftliche Verantwortung bei DeepEn. Er kümmert sich um organisatorische Belange, denkt Arbeitspakete neu, priorisiert Aufgaben, baut Kontakte auf und spricht mit Entwicklungspartnern und ersten potenziellen Kunden an neurowissenschaftlichen Instituten. „Das ist eine echte Zukunftsvision: Dass später unsere Faserendoskope die Forschung vorantreiben und Menschenleben besser machen oder sogar retten können“, sagt der junge Entrepreneur.

Erste Erfolge beim Aufbau des Start­ups

Highlights gab es in der Aufbauphase bisher viele. Allen voran konnte das DeepEn-Team durch Jiri Hofbrucker vervollständigt werden, der mit seinem Hintergrund in Physik und seiner Leidenschaft für Technik zusätzliche Kompetenz einbringt. Er arbeitet nun mit Sergey Turtaev im Labor daran, ein voll funktionsfähiges Test-System zu konfigurieren. „Den Test-Aufbau verfeinern wir in enger Abstimmung mit unseren Forschungspartnern und zukünftigen Nutzerinnen und Nutzern. Wir planen, das Design zunächst sehr flexibel zu gestalten, um jederzeit auf neue Anregungen reagieren zu können“, erklärt Jiri Hofbrucker. „Die Möglichkeiten, die unsere Endoskope bieten, sind neu für die Zielgruppe. Deshalb sind viele Feedback-Schleifen notwendig, um die Bedürfnisse der Forschenden in den neurowissenschaftlichen Laboren genau zu ermitteln“, fügt Hana Cižmárova hinzu.

Vom Labor bis zur Marktreife in 26 Monaten – das ist das Ziel des interdisziplinären Teams. Dabei können sie auf viel Erfahrung von intern wie auch extern zurückgreifen. „Mit dem Leibniz-IPHT haben wir eine ausgezeichnete Infrastruktur und ein hervorragendes Umfeld, um unser Projekt voranzutreiben. Wir haben viel Unterstützung aus dem Institut erhalten, unter anderem von der Leiterin der Wissenschaftlichen Koordination Ivonne Bieber, dem Team der Öffentlichkeitsarbeit und den Kolleginnen des Personalbüros“, betont Sergey Turtaev. Von extern stand der Start-up-Support der Leibniz-Gemeinschaft von Anbeginn mit Rat und Tat zur Seite. Auf dem Kick-off-Meeting des EXIST-Programms, organisiert vom Projekträger Jülich, tauschte sich das Team in Berlin mit anderen EXIST-Gründerstipendiaten aus. Auch von ihrem Business Coach, einem Berater mit über 20 Jahren Erfahrung in der Mikroskopie- und Bio-Imaging-Branche, konnten sie viel dazu lernen.

Ein weiterer Höhepunkt war der Workshop mit den Forschungspartnern in Brünn, den das DeepEn-Team zusammen besucht hat. „Sich dort gemeinsam zu präsentieren hat uns noch ein Stück zusammenwachsen lassen“, berichtet Patrick Westermann. Er freut sich, dass bereits viele wichtige Schritte abgearbeitet werden konnten. Das Labor ist ausgestattet, Teile für den Test- Aufbau bestellt, ein Büro eingerichtet und ein Logo für DeepEn entworfen. „Wir sind ein gutes Team und unsere Kompetenzen ergänzen sich hervorragend. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Herausforderung meistern können, unsere fortschrittliche Technologie auf den Markt zu bringen.“

Großes Potential für haarfeine holografische Endoskope

Wenn sich der NeuroDeep in der Neurowissenschaft durchgesetzt hat, plant das DeepEn-Team als nächste Stufe, den Markt für die Diagnostik und Therapie in der Humanmedizin anzuvisieren. Dort kann so auch Bildgebung in-situ ermöglich werden, zum Beispiel während Operationen oder für eine schnellere Diagnose. „Unsere Technologie ist vielseitig einsetzbar“, erklärt Tomáš Cižmár. „In Zukunft könnte sich das holografische Endoskop auch dafür eignen, um neuartige photonische Methoden wie die Photoablation und die optische Biopsie in bestimmten Körperregionen durchzuführen."