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Schwere Krankheitsverläufe früh erkennen
12.05.2021
Ein Forschungsteam vom Leibniz-IPHT und dem Universitätsklinikum nimmt die Immunabwehr in den Fokus. Sie soll verraten, ob Menschen mit dem Coronavirus infiziert sind und könnte helfen zu prognostizieren, wie sie auf die Erkrankung reagieren
Die Corona-Pandemie setzt das Gesundheitssystem unter eine besondere Belastung. Menschen mit schweren Verläufen sind auf eine intensivmedizinische Behandlung angewiesen – doch die Anzahl von Betten und Beatmungsgeräten ist begrenzt. Ein Team vom Leibniz-IPHT und dem Universitätsklinikum Jena (UKJ) erforscht ein prognostisches Modell, um schwere Covid-19-Krankheitsverläufe früh vorauszusehen. Es könnte das medizinische Personal in Zukunft dabei unterstützen, die Belegung vorausschauend zu planen und besonders gefährdete Patientinnen und Patienten rechtzeitig in Kliniken mit freien Kapazitäten zu verlegen.
Ins Visier nehmen die Forschenden dazu die Immunabwehr des Körpers. „Wir erstellen ein Profiling von weißen Blutkörperchen mittels Raman-Spektroskopie. Daran können wir erkennen, wie es der Patientin oder dem Patienten geht“, erläutert Jürgen Popp. Seine Forschungsabteilung „Spektroskopie / Bildgebung“ erarbeitet den Ansatz gemeinsam mit dem Team der „Klinisch-spektroskopischen Diagnostik“ von Ute Neugebauer, der Forschungsabteilung „Photonic Data Science“ von Thomas Bocklitz und mit Sina Coldewey und Michael Bauer vom Universitätsklinikum Jena. Als Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Sprecher des Center for Sepsis Control and Care (CSCC) ist Bauer, ebenso wie die Intensivmedizinerin Coldewey als Leiterin einer Nachwuchsgruppe am ZIK Septomics, maßgeblich für den Sepsis- und Infektionsschwerpunkt des Klinikums verantwortlich, in den auch das Leibniz-IPHT eingebunden ist. Ebenfalls im Team ist Michael Kiehntopf, der das Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik am UKJ leitet.
Für die Studie zu Krankheitsverläufen von Covid-19-Patientinnen und -Patienten knüpfen die Forschenden an ein lichtbasiertes Verfahren für die schnelle Sepsis-Diagnostik an, das sie gemeinsam mit internationalen Partnern entwickelt haben (Infektionsdiagnostik als Superheldinnen-Abenteuer, S. 52). Dabei bestrahlen sie die Leukozyten in einer Blutprobe mit Laserlicht. Über die so erhaltenen Raman-Spektren gewinnen sie einen molekularen Fingerabdruck der Zellen und können ihre chemische Zusammensetzung aufschlüsseln. Eine auf künstlicher Intelligenz basierende Auswertung liefert dann innerhalb kürzester Zeit und mit hoher Genauigkeit die Information, ob eine Sepsis vorliegt und was sie auslöst: eine Infektion mit einem Virus, einem Bakterium oder einem Pilz.
„Unser Ziel ist es, aus einer Blutprobe das Maximum an Informationen herauszuholen“, sagt Photonic-Data-Science-Experte Thomas Bocklitz. „Liegt eine Infektion vor oder nicht? Wird sie von einem bakteriellen oder einem viralen Erreger ausgelöst? Wenn es ein Virus ist: Ist es SARS-CoV-2? Und wenn ja: Ist ein schwerer oder ein milder Krankheitsverlauf zu erwarten?“ Dazu untersuchen die Forschenden Leukozyten aus Blutproben von Patientinnen und Patienten, die mit einer Covid-19-Erkrankung am Jenaer Universitätsklinikum behandelt worden sind. „Wir vergleichen die Wirtsantwort zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Erkrankung unter Verwendung von ML-Verfahren“, erläutert Thomas Bocklitz: vom ersten Tag der Einlieferung über die erste Woche in der Klinik bis zu einem Jahr danach. Ein am Leibniz-IPHT erforschtes Verfahren erlaubt die Analyse von etwa 2.000 Zellen in einer Stunde.
Aus der Auswertung der Immunabwehr wollen die Forschenden ein prognostisches Modell entwickeln, das anzeigt, welchen Verlauf die Erkrankung bei Covid-19-Patientinnen und -Patienten in den ersten drei bis sieben Tagen der Infektion nehmen wird. Dass die Leukozyten wertvolle Informationen darüber liefern, wie das Immunsystem eines Menschen jeweils auf eine Infektion reagiert und welchen Verlauf diese nehmen wird, konnte das Team bereits im Rahmen des Sepsis-Forschungsprojekts HemoSpec zeigen. „Jetzt verfolgen wir die Vision, auf Grundlage dieser Erkenntnisse mehr über die Krankheitsverläufe bei Corona-Infektionen zu erfahren, und damit Patientinnen und Patienten zu der für sie richtigen Behandlung zu verhelfen“, blickt Ute Neugebauer voraus.
Die Carl-Zeiss-Stiftung fördert die Forschungsarbeit mit Mitteln aus ihrem Corona-Maßnahmen-Fonds, mit dem sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei unterstützt, Lösungsansätze zur Bewältigung der Corona-Pandemie zu finden.