SARS-CoV-2 oder Grippe? Forschende entwickeln eine optische Methode, um Viren schnell zu identifizieren. Dazu kombinieren sie topographische und spektroskopische Verfahren

AA 33, AA 34, AA 35 in der Waagerechten; AB 33, AC33, AD 33 senkrecht… Mit bloßem Auge sind die 50 Mikrometer winzigen goldenen Zahlen auf dem feinen Mikroskop-Deckblättchen nicht zu erkennen. Das Koordinatensystem auf dem Chip erinnert an das Spiel „Schiffe versenken“ – nur, dass die Forschenden hiermit keine Boote, sondern Virus­partikel aufspüren und lokalisieren. Um SARS-CoV-2 schnell und strukturspezifisch zu charakterisieren, kombiniert ein abteilungsübergreifendes Team am Leibniz-IPHT topographische und spektroskopische Verfahren. So wollen die Forschenden eine Methode erarbeiten, um einzelne Viruspartikel in klinischem Probenmaterial per Raman-Spektroskopie schnell und zuverlässig zu identifizieren. Ob eine Person mit Grippe oder mit SARS-CoV-2 infiziert ist, könnte man so perspektivisch innerhalb von Minuten unterscheiden.

Basis für die Erforschung ist der Chip mit dem Kästchenmuster. Er geht zurück auf eine Idee aus der Gruppe des Nanooptik-Experten Jer-Shing Huang. Huang und sein Team nutzen ihn, um Nanopartikel zu lokalisieren und gezielt zu vermessen oder zu bearbeiten. Gefertigt werden die hauchdünnen Chips per maskenbasierter Photolithographie im Reinraum des Instituts. Mit Vakuumverfahren bedampfen die Mitarbeiter die feinen Strukturen mit Gold. Nach einem abschließenden „Lift-Off“ verbleiben nur das Kästchenmuster und die Schrift als Goldstrukturen auf dem Chip.

Für die Arbeit mit den filigranen Materialien braucht es Fingerspitzengefühl. „Aus optischen und messtechnischen Gründen verwenden wir sehr dünne Glassubstrate; das sind Mikroskop-Deckblättchen, die gerade einmal 170µm dick sind“, erläutert Uwe Hübner, Leiter des Kompetenzzentrums für Mikro- und Nanotechnologien. „Sie neigen bei den Bearbeitungsschritten zum Zerbrechen – für einen Chip hat man also genau einen Versuch.“

Zum Einsatz kommen die Chips dann zuerst unter dem Rastersondenmikroskop. Damit untersucht das Team des Nanoskopie-Experten Volker Deckert Proben von SARS-CoV-2-Virionen; das sind einzelne Viruspartikel außerhalb einer Zelle. Die Forschungspartner aus der Arbeitsgruppe der Virologin Stefanie Deinhardt-Emmer vom Institut für Medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Jena haben die Virus-RNA zuvor mit dem Farbstoff SYBR-Gold markiert, der die Größe der Virionen nicht verändert.

Drei Methoden, eine Aussage

Deckert und sein Team untersuchen die Proben nun zunächst topographisch, treffen also nach morphologischen Kriterien anhand der Größe eine schnelle Vorauswahl von potentiellen Viren-Kandidaten für die weitere Untersuchung. Ohne die speziell gefertigten Substrate, sagt Volker ­Deckert, wären die zwischen 50 und 100 Nanometer kleinen Viruspartikel in den nachfolgenden Experimenten gar nicht aufzufinden. Über das Raster jedoch lassen sich die infrage kommenden Partikel genau über ihren Fundort zuordnen – und die Probe geht in die ­nächste Runde: zu Christian­ ­Eggeling in dessen Forschungsabteilung ­„Biophysikalische Bildgebung“.

Eggeling und sein Team untersuchen die Probe an derselben Stelle mit dem Fluoreszenzmikroskop. Über die Fluoreszenz des SYBR-Gold-Farbstoffs finden sie die gelabelte RNA der Virionen. Zur Kontrolle geht das Substrat zurück an Volker Deckert: Per Rasterkraftmikroskopie überprüft der noch einmal, ob es Verluste oder Veränderungen an der Probe gibt. In der überwiegenden Zahl der Fälle, so Deckert, seien diese jedoch zu vernachlässigen. Zusammengenommen liefern die Fluoreszenzbilder und die Topographien nun eine sichere Identifikation der Virenpartikel. Dazu werden die Bilder miteinander in Korrelation gesetzt, also überlagert.

Um herauszufinden, ob das Virus aktiv ist oder ob RNA verloren gegangen ist, kommt nun ein weitere Methode ins Spiel: Per Superresolution-Fluoreszenz-Mikroskopie nimmt Rainer Heintzmann mit seinem Team der Forschungsabteilung „Mikroskopie“ das Spike-Protein des Virus in den Fokus. Dieses Protein nutzt SARS-CoV-2, um an die Zellen anzudocken. Über die stachelförmigen Strukturen bindet das Virus an spezifische Rezeptoren auf der Oberfläche menschlicher Zellen, um sie so zu infizieren.

Weil der vorhandene RNA-Farbstoff nicht superresolution-tauglich ist, markieren Heintzmann und sein Team die Probe mit Antikörpern. Diese können das Virus anhand des Spike-Proteins erkennen. Mit der superauflösenden Fluoreszenz-Mikroskopie erzielen die Forschenden eine Auflösung von etwa 50 Nanometern. So können sie das Spike-Protein der Proben identifizieren. Für weitere Untersuchungen sind die gelabelten Proben danach allerdings nicht mehr verwendbar.

Drei Methoden, eine Aussage: Über den genauen lokalen Vergleich gelingt es den Forschenden, die Größenverteilung von SARS-CoV-2-Virionen in der Probe sicher einzugrenzen. „Sie ist ein essentieller Schritt, um die SARS-CoV-2-Partikel eindeutig zu identifizieren und schnell und markierungsfrei eine Vorauswahl potentieller Kandidaten für weitere Untersuchungen zu treffen“, erläutert Volker Deckert: „allein aufgrund morphologischer Eigenschaften und unter klinisch relevanten Umgebungsbedingungen.“

Diese Vorauswahl erlaubt es Deckert und seinem Team schließlich, die Struktur der identifizierten Virenpartikel mittels spitzenverstärkter Raman-Spektroskopie TERS (Tip Enhanced Raman Spectroscopy) nanoskalig zu untersuchen. „Mit TERS können wir uns die einzelnen Viruspartikel gezielt ansehen und sie mit Nanometer-Auflösung und chemischer Spezifität genau vermessen“, so Deckert. „Über die erhaltenen TERS-Spektren können wir die Probenoberfläche der Partikel sehr schnell erfassen; in weniger als einer Sekunde pro Spektrum.“

Das Ziel: markierungsfreie Schnelldiagnostik

Schnell, genau und markierungsfrei: Die Untersuchung von SARS-CoV-2 per spitzenverstärkter Raman-Spektroskopie könnte es perspektivisch ermöglichen, mehr über die Mechanismen zu erfahren, mit denen das Virus mit der Zelloberfläche wechselwirkt. „Dies zu untersuchen, ist nur möglich, wenn keine Farbstoffe verwendet werden“, so Deckert.

Für eine schnelle Diagnostik könnte das kombinierte Verfahren ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Über die topographische Messung ließe sich sehr schnell feststellen, ob in einer Probe Virenpartikel vorhanden sind oder nicht. Die Forschenden arbeiten nun daran, das Verfahren so zu optimieren, dass sie innerhalb kürzester Zeit erkennen können, ob in einer Probe SARS-CoV-2- oder Grippeviren enthalten sind. Dies ginge, sagt Volker Deckert, sogar bereits, bevor Antikörper vorhanden sind.