Ein junges Forschungsteam entwickelt einen quelloffenen Optik-Baukasten für ­Forschung und Ausbildung. Das System kommt aus dem 3D-Drucker und liefert so ­hochauflösende Bilder wie kommerzielle Mikroskope, die hundertmal so viel kosten

Moderne Mikroskope, die biologische Prozesse sichtbar machen, kosten viel Geld, stehen in spezialisierten Laboren und erfordern hoch qualifiziertes Personal. Damit neue, kreative Ansätze für drängende wissenschaftliche Fragestellungen zu erforschen – zum Beispiel im Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Covid-19 –, ist vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an gut ausgestatteten Forschungseinrich­tungen in reichen Ländern vorbehalten.

Benedict Diederich, René Lachmann und Barbora Maršíková wollen das ändern. Die Nachwuchsforschenden haben einen optischen Baukasten entwickelt, mit dem sich für wenige Hundert Euro Mikroskope bauen lassen, die so hochauflösende Bilder liefern wie kommerzielle Mikroskope – aber nur ein Hundertstel oder Tausendstel soviel kosten. Mit quelloffenen Bauplänen, Komponenten aus dem 3D-Drucker und Smartphone-Kamera lässt sich das Baukasten-System UC2 (You. See. Too.) so kombinieren, wie die Forschungsfrage es erfordert — von der Langzeitbeobachtung lebender Organismen im Inkubator bis zum Einsatz in der Optik-Ausbildung.

Grundbaustein des UC2-Systems ist ein 3D-druckbarer Würfel, in den Komponenten wie Linsen, LEDs oder Kameras eingebaut werden können. Mehrere solcher Würfel werden auf eine magnetische Raster-Grundplatte gesteckt. Geschickt angeordnet, entsteht so ein leistungsfähiges optisches Instrument.

Krankheitserreger ­beobachten – und dann das kontaminierte Mikroskop recyceln

Helge Ewers ist Professor für Biochemie an der Freien Universität Berlin und der Charité. Er nutzt den UC2-Baukasten, um Krankheitserreger zu untersuchen. „Das UC2-System erlaubt es uns, zu geringen Kosten ein hochqualitatives Mikroskop herzustellen, mit dem wir in einem Inkubator lebende Zellen beobachten können“, berichtet er. Damit erschließt UC2 Einsatzgebiete für die biomedizinische Forschung, für die sich herkömmliche ­Mikroskope nicht eignen.

„Kostspielige Mikroskope schleust man kaum in ein kontaminiertes Labor ein“, sagt Benedict Diederich. Der Post-Doc am Leibniz-IPHT hat den optischen Baukasten gemeinsam mit René Lachmann in der Forschungsabteilung „Mikroskopie“ von Rainer Heintzmann entwickelt – und zwar genau aus diesem Dilemma heraus: Ihr Doktorandenkollege Swen Carlstedt, der als Biologe am Universitätsklinikum forscht, wollte im Inkubator beobachten, wie sich Monozyten zu Makrophagen entwickeln, um mehr über das Wachstums- und Ernährungsverhalten dieser Fresszellen des Immunsystems zu erfahren. Nur: Dafür gab es kein geeignetes Mikroskop. „Dann bauen wir uns eben selbst eins“, dachten sich die Doktoranden: mit Kunstoff-Teilen aus dem 3D-Drucker. Die lassen sich — ebenso wie Diederichs Selbstbau-Mikroskop aus Smartphone und Blu-Ray-Player (S. 29) – nach dem Einsatz im Sicherheitslabor einfach verbrennen oder recyceln.

Bauen nach dem ­Lego-­Prinzip

Bauen nach dem Lego-Prinzip – das weckt nicht nur den inneren Spieltrieb, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten, sich ein Werkzeug maßzuschneidern. „Es lässt sich schnell das passende Gerät zusammenstellen, um bestimmte Zellen abzubilden“, sagt Benedict Diederich. „Wird beispielsweise eine rote Wellenlänge als Anregung benötigt, baut man einfach den passenden Laser ein und tauscht den Filter. Braucht man ein inverses Mikroskop, stapelt man die Würfel entsprechend.“ Mit dem UC2-System lassen sich Elemente je nach benötigter Auflösung, Stabilität, Dauer oder Mikroskopiemethode kombinieren und im „Rapid Prototyping“-Verfahren direkt testen.

Baupläne und Software archivieren die Forschenden auf dem frei zugänglichen Online-Repositorium GitHub, so dass jeder darauf zugreifen, die Aufbauten nachbauen, umändern und erweitern kann. „Mit dem Feedback der Nutzenden verbessern wir das System Stück für Stück und ­ergänzen es um immer neue kreative ­Lösungen“, berichtet René Lachmann. Dahinter steht das Ziel, eine offene Wissenschaft zu ermöglichen. Dank der Dokumentation können Forschende überall auf der Welt, Experimente reproduzieren und weiterentwickeln. „Change in Paradigm: Science for a Dime“, nennt Benedict Diederich diese Vision: einen Paradigmenwechsel einläuten, in dem der wissenschaftliche Prozess offen und zugänglich ist und Forschende ihr Wissen miteinander teilen.

Um auch jenseits der wissenschaftlichen Community junge Menschen für Optik zu begeistern, hat das Forschungsteam einen Baukasten speziell für die Ausbildung an Schulen und Universitäten entwickelt. „UC2: The Box“ enthält einen ausgeklügelten Bausatz, mit dem Nutzende optische Konzepte und Mikroskopie-Methoden kennenlernen und ausprobieren können. „Die Bauteile lassen sich zum Projektor oder zum Teleskop kombinieren; man kann sich ein Spektrometer oder ein Smartphone-Mikroskop bauen“, erläutert Barbora Maršíková, die die Experimente erarbeitet und mit dem UC2-Team schon in Workshops in Jena und den USA, in Großbritannien und Norwegen getestet hat.

UC2-Experimentierbox holt Wissenschaft an die Schulen

In Jena haben sie den Baukasten bereits an mehreren Schulen eingesetzt und beispielsweise Schülerinnen und Schüler dabei unterstützt, sich ein Fluoreszenz-Mikroskop zu bauen, um Mikroplastik nachzuweisen. „Wir haben UC2 mit unserem Smartphone kombiniert“, berichtet Emilia Walther von der Montessorischule Jena. „So konnten wir ohne größeres optisches Vorwissen kostengünstig unser eigenes Mikroskop bauen und eine einfache Methode erarbeiten, um Plastikpartikel in Kosmetika aufzuspüren.“ Mit Erfolg: Beim Regionalwettbewerb von „Jugend forscht“ holten Emilia und ihre Mitschüler Robin und Elias Anfang 2021 den ersten Platz in der Kategorie Chemie, Platz 2 im Bereich Technik.

Forschergeist und Experimentierfreude zu wecken – auch das ist die Mission von UC2. „Wir wollen moderne Techniken einem breiten Publikum zugänglich machen“, sagt Benedict Diederich, „und eine offene und kreative Mikroskopie-Community aufbauen.“ Gerade in den Homeschooling-Zeiten der Corona-Pandemie können sich Schülerinnen und Schüler ihre Lehrmaterialien so zu Hause einfach selber bauen.

www.useetoo.org